Wie oft habe ich mich in der Vergangenheit schon in tagelangen Streitgesprächen in Online-Foren und auf Facebook verloren? Verloren ist genau das richtige Wort. Denn gewonnen hat keiner. Außer vielleicht irgendwann die folgende Einsicht:
Wenn Kommunikation im Konflikt gelingen soll, dann müssen wir ein paar Regeln einhalten. Wir kennen sie ohnehin und halten uns auch daran – bis wir getriggert werden. Getriggert werden wir dann, wenn das Gegenüber - meist völlig unbeabsichtigt - den Finger in eine Wunde legt oder einen peinlichst behüteten blinden Fleck in uns sichtbar macht. Wie gesagt: zunächst völlig unbeabsichtigt. Und weil uns das weh tut, oder weil wir diesen blinden Fleck auf keinen Fall sehen wollen (sonst müssten wir nämlich unser Weltbild oder unser Bild von uns selbst aktualisieren, und auch das kann wehtun), also weil wir das verhindern wollen, schlagen wir blindlings drauflos. Wenn auch nur mit Worten. Dabei zielen wir dann direkt auf Wunden und blinde Flecken des Gegenübers (oft ebenfalls unbeabsichtigt, weil unbewusst). Wir wollen ihn entweder in die Flucht schlagen, oder ihn zerstören. Und er hat genau dieselben Absichten mit uns. Das Ergebnis ist ein völlig sinnloses Gemetzel. Oder, je nach persönlicher Vorliebe, ein beleidigter Rückzug.
Wenn wir hingegen auch nur einen Funken Interesse an uns selbst hätten, und wenn wir kein Problem damit hätten, uns selbst Schwächen zuzugestehen, dann könnten wir sogar einen gewissen Spaß an unseren eigenen Triggern entwickeln. Und daran, die dahinterliegenden Wunden und blinden Flecken ans Licht zu holen, anstatt ständig beim Anderen etwas verändern zu wollen. – Wozu? Weil wir dadurch unglaubliche innere Kraft entwickeln, die eben nicht mehr dafür draufgeht, Wunden und blinde Flecken zu verstecken und zu verteidigen. Diese Kraft könnten wir dann für Sinnvolleres als dumme Gemetzel einsetzen.
Eigene Trigger erkennen und Zeit gewinnen
Ganz ohne eigene Anstrengung geht das aber nicht. Das Wichtigste ist, sofort zu erkennen, wenn sich ein Trigger meldet. Bei mir fühlt sich das wie eine heiße Welle vom Bauch in Richtung Oberkörper an. Wenn der Trigger stark genug ist, schwappt die Welle auch über meinen Kopf und macht mich bewusstlos - bewusstseinslos eigentlich. Wut wahrscheinlich, oder Angst. Beide sind ja an sich wichtige Gefahrenmeldesysteme und auch sonst eng miteinander verwandt. Wenn aber gerade kein Säbelzahntiger in der Nähe ist, muss ich auch nicht gleich gedankenlos zuschlagen oder wegrennen. Stattdessen könnte ich mir sagen, „Aha, da ist Wut, interessant.” Dieses "Aha" kommt aus meinem Bewusstsein und reicht schon, um die Welle einzudämmen. Und damit habe ich Abstand gewonnen und Zeit, mich an die Prinzipien konstruktiver Kommunikation und an respektvollen Umgang zu erinnern. Meine Wut kann ich allerdings sehr wohl ausdrücken, wenn ich will. Nämlich indem ich sage: "Ich bin gerade sehr wütend." Eigentlich nicht schwierig. Aber auch nicht unbedingt notwendig.
Wut schützt Wunde
Wichtig ist nur, dass ich selbst meine Wut wahrnehme und als Signal verstehe. Meine Wut will mich vor meinem Schmerz schützen. Nicht unbedingt vor dem Schmerz, den mir jetzt gerade jemand anderer zufügt (auch wenn das gerade so wirken mag), sondern vor dem Schmerz, der ohnehin schon in mir ist und eben gerade vom anderen getriggert wurde. Und um diesen Schmerz geht es eigentlich. Der will wahrgenommen werden! Wenn ich aber in meiner blinden Wut auf den anderen losprügle, nehme ich meinen Schmerz nicht wahr, sondern füge stattdessen dem Anderen Schmerz zu. Und wie sieht es aus, wenn ich auf der anderen Seite bin? Wenn ich jemanden getriggert habe und wenn der Andere sich von seiner Wut übermannen lässt und losprügelt? – Auch hier hilft es, bewusst zu bleiben und nicht auch noch selbst in getriggertes Verhalten zu fallen. Und das ist der Punkt, wo die eigenen Grenzen ins Spiel kommen – die dürfen nämlich auch sein. Nein, die müssen sogar sein! Niemand muss Prügel milde lächelnd einstecken, auch dann nicht, wenn die Prügel "nur" verbal rüberkommen. Die Grenze ist spätestens dann erreicht, wenn es wehtut.
Der Schmerz-Wut-Schmerz-Kreislauf
Moment: Was ist der Unterschied zwischen dem Schmerz, der entsteht, wenn mir jemand den Finger in die Wunde legt, und dem Schmerz, der entsteht, wenn jemand Prügel austeilt? – Gar keiner. Der Schmerz fühlt sich immer gleich an: Er tut weh. In einer ehrlichen Auseinandersetzung ist Schmerz also unvermeidlich. Die Frage ist, wie man darauf reagiert: Mit "Aha, hier ist Schmerz" oder mit blinder Wut. Entscheidet man sich für die blinde Wut, läuft der Kreislauf der gegenseitigen Verletzungen weiter. Schafft man hingegen diesen Sekundenbruchteil von "Aha, hier ist Schmerz", ist der Kreislauf unterbrochen.
Prügelt der andere weiter, heißt es klar Nein dazu zu sagen. Denn mit getriggerter Wut ist ein echtes Gespräch nicht möglich. Sie will verletzen und das muss niemand aushalten. Gerade in einer online Diskussion ist das Grenzen Aufziehen sehr einfach. Ich muss niemandem antworten. Ich muss seine Beiträge auch nicht lesen. Der wird dann zwar noch einige Male versuchen, den Trigger bei mir zu aktivieren und eine Antwort herauszubekommen. Aber ob ich darauf einsteige, ist ganz allein meine Entscheidung - und eine Frage der inneren Stärke, die ich wiederum entwickeln kann, indem ich meine eigenen Trigger entdecke. Im echten Leben braucht es dann vielleicht eine Auszeit, bis die Wut verraucht ist. Auch diese muss man sich eventuell durch klares Grenzenziehen erkämpfen. Denn der Getriggerte will weiter wüten und sich ganz bestimmt nicht beruhigen.
Und was ist der Unterschied zwischen dem klaren Grenzenziehen und dem beleidigten Rückzug? Letzterer entspringt immer noch der Wut, ersterer geschieht mit zumindest halbwegs klarem Kopf.
Wohlwollen wirkt Wunder
Und da niemand von uns perfekt ist, könnten wir auch einfach ein Auge zudrücken, wenn jemand gerade so getriggert ist, dass er sich einfach nicht mehr einkriegt. Das macht ihn nicht zum generell bösen Menschen. Und wir könnten uns auch selbst ein bisschen weniger wichtig nehmen. Das hilft auch.
Wenn du deine eigenen Trigger genauer anschauen willst, wenn du deine Kommunikationsmuster verändern willst, dann melde dich einfach bei mir.